Lost in India

Die Indienreise der wundersamen Begegnungen

(Auszug aus dem 5. Teil. Bangh-Chai zu trinken ist gefährlich, vor allem, wenn man es nicht weiß ...)

Lost in India

Es ist ein friedlicher Sonntag in Darjeeling, als Finley ankommt. Wir liegen auf dem Doppelbett in Zimmer 37, welches für die Verhältnisse von einfachen indischen Unterkünften sehr wohnlich ist. Durch das Fenster, welches beinahe die gesamte Außenwand einnimmt, betrachten wir die Bergrücken, das Tal und die sich verformenden Wolken. Der Himmel scheint der Erde hier sehr nahe! Jedoch habe ich bereits den zweiten Tag diese leichten Kopfschmerzen, fühle mich schlapp, steif und habe Mühe, die Kauerstellung einzunehmen, die auf der Toilette nötig ist. Finley hat dieselben Symptome. Wir gehen davon aus, dass es von selbst besser werden wird.

Die Darjeeling umringende Bergwelt bleibt auch am nächsten Morgen unsichtbar. Finley liegt wie ein großes, unrasiertes Baby auf der Seite. Während er schläft, denke ich daran, wie er mich vor ein paar Tagen in Varanasi nach den Büchern fragte, die ich schreibe. Während eines Konzerts am Monkey Tempel hatte er, während ich mit geschlossenen Augen vor mich hinträumend neben ihm lag, sich geduldig mit einem älteren Hindi-Professor unterhalten. Ich hörte, wie Finley auf die Frage des Professors, was ich tue, antwortete: „Er ist Schriftsteller.“
Das war so einfach und dennoch großartig. Ich hätte ihn umarmen können. Noch ist mir dieses Wort in Bezug auf mich so viel wert, gerade weil ich nirgendwo als Autor anerkannt bin. Finley wacht auf. Während unseres Morgenplauschs frage ich ihn, wie es ihm gelingt, stets so lässig zu sein.
„Ich glaube, dass die meisten Dinge sich von selbst lösen.”
Ich bewundere seine Art, die Dinge ungeheuer entspannt anzugehen.
„Und wie fühlst du dich? Immer noch steif?”
Finley versucht sich zu strecken und gibt es sofort wieder auf. „Ja! Sehr!”
Im Bett liegend erzählt Finley, wie er in Pushkar zu viel Bhang Lassi getrunken hatte. Stoned lief er nachts alleine durch dunkle Gassen und versuchte vergeblich, sich zurechtzufinden. Hunde bellten ihn an, fletschten die Zähne und verfolgten ihn. An einer Gassenkreuzung war er von Hunden umringt, die seinen hilflosen Zustand bemerkt hatten. Sie fielen über ihn her, er wurde gebissen, flüchtete, sah eine geöffnete Haustüre und fand Unterschlupf.
„Hast du von dem Schweizer in Pushkar gehört?”, fragt Finley, während er das Kopfkissen hinter seinen Rücken schiebt. Als ich verneine, erzählt er das Folgende und greift nach dem Beutel mit dem Gras: „Ein Schweizer hatte sich in Pushkar an den Chaistand gesetzt, wo alle herumlungern, jeder ziemlich schnell willkommen ist und dazugehört. Dort tat niemand etwas, außer Bhang Chai zu trinken. Der Schweizer wusste das nicht. Neben ihm bestellte jemand Bhang Chai. Er hatte es nicht richtig verstanden und bestellte sich einfach dasselbe. Danach verlangte er noch einmal dasselbe, trank rasch aus und kehrte in seine Lodge zurück. Der junge Mann war allein, als die Wirkung einsetzte, die er sich nicht erklären konnte, geriet in seinem Zimmer in Panik, fühlte sich äußerst seltsam, wusste aber noch immer nicht warum. Panisch rannte er aus seinem Zimmer, kippte über die Brüstung, fiel mehrere Meter tief und landete auf einem Holztisch, der im Innenhof stand. Ein paar junge Rucksackreisende saßen darum herum. Der Schweizer blieb eine Zeitlang bewusstlos, niemand wusste, was zu tun sei. Er kam wieder zu sich, sah den glattrasierten Kopf einer jungen Frau über sich und hielt sie für Jesus, weil er dachte, er sei tot und im Himmel angekommen. Warum ist Jesus eine Frau, fragte der Schweizer sich. Und warum spricht man im Himmel englisch? Er ärgerte sich sehr darüber, dass man im Himmel Englisch spricht, rief seine Eltern an und sagte ihnen, dass er tot sei. Seitdem glaubt er an Jesus.“ Wir hingegen glauben daran, dass sich die Dinge von selbst erledigen, liegen in Zimmer 37 auf dem Doppelbett und lachen, bis uns die Tränen kommen.

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