Big Jo

Big Jo

Big Jo, der extravaganteste und mächtigste Mann des Landes, erwarb ein Museum. Natürlich musste es die bedeutsamsten Ausstellungen beherbergen. Dafür wollte er den besten Kurator verpflichten. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben: Die Ausstellung des Unmöglichen! Das Preisgeld betrug Fünfzig-Millionen-Dollar.
Der große Tag war gekommen und würde eine weltweite Demonstration von Big Jos uneingeschränkter Macht sein. Endlich sah man Big Jo, der wie ein riesiger Elefant die breite Treppe zum Museumsportal emporstürmte. Er würde durch die Räume stiefeln und keine Rücksicht auf die sensiblen Künstler nehmen, wie groß ihr internationaler Ruf auch sein mochte. Gerade das war es, was seinen Anhängern gefiel! Heuchlerische Selbstbeherrschung und stilistische Feinheiten waren ihm fremd wie die Rückseite des Mondes. Das Publikum konnte abstimmen und dadurch Big Jo beeinflussen, aber wie immer zählte am Ende allein Big Jos Entscheidung.
Big Jo schritt durch lange Gänge und würdigte die kostbaren Gemälde keines Blickes. Er betrat den ersten Saal: Das ewige Leben! Im gleichen Moment sahen Milliarden von Zuschauern den Saal, in dem identische Menschen in einen Jahrtausende umfassenden Zeitstrahl verwoben waren.
Big Jo blieb nicht einmal fünf Sekunden lang stehen. Er betrat den nächsten Saal: Die unsterbliche Liebe! Eine Rolltreppe führte in eine 3D-Phantasiewelt, die einen rauschhaften Sog ausstrahlte, in der blaue Blumen blühten und lächelnde Menschen halbnackt umhergingen.
Big Jo ließ sich mit stoischem Gesichtsausdruck von der Rolltreppe mitten ins Kunstwerk hineinbefördern – und tauchte im nächsten Saal wieder auf: Der Weltfrieden! Ein überdimensionales Karussell blendete durch seine glitzernd-ausschweifende Prachtentfaltung. Politiker und Magnaten saßen in Panzern, Luxuskarossen, Jachten und Geldtresoren. Die Augen der Figuren waren Scheinwerfer, die Szenerien des Weltgeschehens im Saal anstrahlten, aber nie die zentrale Säule des Karussells: Den Weltfrieden.
Big Jo betrat den letzten Saal. Tod der digitalen Welt! Smartphones hingen an auf- und abfedernden Gummiseilen, die unerreichbar für danach gierende Menschen waren, die verzweifelt hochsprangen oder wehklagend am Boden lagen.
Big Jo hatte alles gesehen, begab sich auf den Balkon, um die Massen zu begrüßen, die sich auf einer endlosen Freifläche versammelt hatten und ihn mit frenetischem Beifall begrüßten. Die größte Attraktion war Big Jo selbst! Während er sich seinem Publikum widmete, war Zeit abzustimmen.
Der Rundgang der Entscheidung begann. Die unsterbliche Liebe belegte beim Publikum den zweiten Platz. Der zugehörige Kurator stand wie ein Angeklagter neben dem Werk. Big Jo streckte den rechten Arm aus, der Daumen, kurz waagrecht abgespreizt, kippte nach unten und die hämische Stimme des Kommentators flankierte dröhnend die vernichtende Geste: „Sie haben – ausgestellt!“ Obwohl Die unsterbliche Liebe beim Publikum beliebt war, loderte nach Big Jos Entscheidung rasender Beifall auf. Seine treusten Anhänger waren Menschen, denen es ein diebisches Vergnügen bereitete zuzusehen, wie Big Jo die Mächtigen behandelte. Endlich wurden die Gewinner gemaßregelt, wurde deren Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Big Jo, selbst unermesslich reich und scheinbar unangreifbar, was auch immer er tat, war der Anführer einer beispiellosen Revolution. Individuen, die zusehen mussten, wie die Reichen immer reicher wurden, waren seine treuesten Gefolgsleute. Sie liebten es, wenn Big Jo gnadenlos austeilte und das System der Elite ins Wanken brachte.
Big Jo begnügte sich mit boshaftem Spott. „Sie haben mein Geld verschwendet und werden dazu keine weitere Gelegenheit bekommen!“ Der Kurator wurde von zwei breitschultrigen Angestellten aus dem Raum geführt, das Kunstwerk wurde auseinandergerissen und niedergetrampelt.
Big Jo stand vor dem Weltfrieden-Karussell und senkte pfeilschnell den Daumen. Das Publikum hatte diese Ausstellung auf den dritten Platz gewählt. Big Jo enthielt sich jeglicher Äußerung, aber sein Kommentator schrie ekstatisch: „Du bist draußen! Big Jo ist der Mann, der die fünfzig Millionen ausgibt! Denn er ist Big Jo! Und es gibt nur einen Big Jo!“
Big Jo betrat den Tod der digitalen Welt-Saal und stand somit vor – dem Publikumsliebling. Big Jo zögerte dramaturgisch geschickt. Würde er dem Votum der Zuschauer folgen? Die Spannung stieg für atemlose Momente ins Unermessliche, bis Big Jo den Daumen senkte. Ein protestierender Aufschrei schwebte im nächsten Moment über der tobenden Menge.
Big Jo stellte sich vor Das ewige Leben, riss den Daumen nach oben und der Kommentator brüllte triumphierend: „Das ist die Nummer 1!“ Ein Blick zum Stimmungsbarometer zeigte, dass diese Ausstellung auf dem vierten Platz rangiert – hatte. Dies änderte sich in Sekundenschnelle, aus Platz 4 wurde Platz 1. Big Jo war wie so oft nicht der Meinung der Mehrheit gefolgt, sondern gehorchte seiner unergründlichen Eingebung.
Der Beifall schien endlos!
Jahre vergingen. Big Jo galt weiterhin als unberechenbar. Auch wenn er sich gegen die Meinung seiner Anhänger wandte, trug das nach einer kurzen Phase zur Steigerung seiner Popularität bei. Big Jo konnte tun und lassen was er wollte: Er war und blieb der Größte!
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