Wenn wir zusammen wären ...

Die Indienreise der wundersamen Begegnungen

(Auszug aus dem 5. Teil. Amy sagt zu Daniel: "Ohne Frau bist du verloren ...")

Wenn wir zusammen wären

An meinem letzten Morgen in Kalkutta sind wir beide nicht mehr in der unaufhörlichen, ausgelassenen Stimmung. Trotzdem versuche ich, an die bisherigen Albernheiten anzuknüpfen, aber Amy unterbricht mich sofort: „Hör auf damit!”
Kleinlaut murmle ich Zustimmung. Im einfachen Straßenrestaurant fühlt sich die Gegenwart zäh an. Was können wir tun? Nichts! Höhnisch grinsen die äußeren Umstände. Trotzdem ist jede Minute wertvoll. Unerbittlich vergeht die Zeit und schürt Panik im Mikrokosmos. Widerwillig packe ich und Amy meint, dass sie mich noch irgendwohin einladen will. So landen wir in der Eisdiele, in der wir die Australier getroffen hatten, auf die ich so eifersüchtig war. Dort kommt es doch noch zu einigen Handlungen unerlässlichen Unfugs und wir lachen befreit auf. Im nächsten Moment sitzen wir zu Tode betrübt da, im übernächsten hocken wir erneut fröhlich und vertraut beisammen. Ansatzlos fängt Amy eindringlich an zu schildern, dass ich eine Frau bräuchte, für dies und das und überhaupt: „… ohne Frau bist du verloren. So wie du drauf bist, bist du alleine verloren.” Amy grinst und sagt: „Ich bin jemand ganz Spezielles. Du würdest glücklich sein, eine Frau wie mich zu bekommen.” Sie hebt die Arme und lacht: „I shine!“ Innerlich nicke ich betroffen, nach außen hin grinse ich wie über einen guten Witz. „Du wirst nicht noch einmal jemanden wie mich treffen – vielleicht, wenn du alt bist.”
„Wenn wir zusammen wären“, fährt sie fort, „könnten wir in Australien, in London – wir könnten einfach überall leben!” Sie zählt so ungefähr die halbe Welt auf, erwähnt unter anderem Städte, in denen sie gelebt hat: Sydney, London, einige Orte auf Neuseeland werden beschrieben und so geht es fröhlich weiter. Plötzlich hält sie inne, über sich selbst erschrocken und lässt es an mir aus: „Aber ich habe nicht von Heirat gesprochen”, schreckt sie mich aus meinen Fantasien auf, denen ich mich – durch ihre Schilderungen angeregt – hingegeben hatte. Verträumt saß ich da, den Kopf in die Hand gestützt, rutschte immer tiefer, behaglicher und verliebter in den Stuhl hinein, während ich sie fasziniert anschaute. Amy wiederholt indessen unerbittlich: „Ist das klar, ich habe nicht von Heirat gesprochen!” Sie ist mit einem Mal sehr ernst und will das unbedingt klarstellen. Statt scherzhaft zu antworten, bin ich diesmal ziemlich fertig: „Nein, nein, natürlich nicht.” Das ist das Ende. Sie hat mich geschafft. Diesmal hat sie mich erwischt. Ist es das, was sie will? Aber an Heirat hatte ich dabei nun wirklich nicht gedacht.
Ich flüchte in den erstaunlich sauberen Toilettenraum europäischen Standards. Hier bin ich, was in Indien selten vorkommt, allein. Sogar Musik wabert aus runden Deckenlautsprechern. Während ich vor den Waschbecken stehe, über denen ein großer Spiegel hängt, suche ich hektisch nach einer Lösung. Wir stehen uns selbst im Weg. Auch Amy hat diese Sache mit einer kaputten Ehe der Eltern hinter sich. Genau wie Claire und Ireen. Unsere Situation ist grotesk. In diesem Augenblick ist irgendwie alles nochmals offen. Die Menschen und deren gewohnte Abläufe könnten aus der Erstarrung gerissen werden. Jetzt, da es endlich wieder auf etwas ankommt, scheitern wir. Der Zufall müsste uns helfen. Unschlüssig starre ich in den Spiegel, die Tür geht auf und ich kehre an unseren Tisch zurück. Ich bräuchte nur auf Amy zugehen. Vielleicht wäre damit alles gelöst. Aber sie fühlt möglicherweise weniger oder gar nichts. Die Bengalen aus dem Dormitory freuen sich offensichtlich über meine Abreise und vor allem darüber, dass Amy nicht auscheckt. Es ist ihnen anzusehen, wie glücklich sie sind, dass Amy nun endlich ohne diesen widerlichen Typen ist, der sie von ihnen abschirmt. Amy will mich zum Bahnhof bringen. Viel kann ich nicht sagen, während wir ein Taxi suchen. Schon sitzen wir auf der Rückbank eines alten, dunklen Ambassador Taxis und werden auf der großzügig gefederten Rückbank durch Kalkuttas Straßen gewiegt. Mit einem Mal habe ich die in meinem Zustand naheliegende Idee, dass sie mit mir fahren könnte. „Ich kann für dich von Nashik aus ohne größere Probleme einen Platz in einem Bus nach Pune organisieren. Pune ist nur vier Busstunden von Nashik entfernt. Du kannst mit diesem Zug aber auch bis Mumbai fahren und bist dann einen Tag früher in Pune.” Es überrascht mich, wie schnell sie einverstanden ist. Jetzt müssen wir nur noch ein Zugticket für Amy bekommen. Statt sie den, zuerst zögerlich, nur so nebenbei vorgebrachten Vorschlag ablehnt, was ich eigentlich erwartet habe, beklagt sie sich darüber, dass ich dies erst so spät sage und wir uns jetzt beeilen müssen, ihr Gepäck zu holen. Ein Irrlauf auf Kalkuttas Bahnhof beginnt. Von den Verkaufsschaltern, wo wir nichts erreichen, laufen wir zu den Special Reservation Counters und von da zu irgendeinem Train Manager. Wir rennen hinter dem verfluchten Ticket her, doch all diese Anstrengungen bleiben vergeblich. Ob sie nicht einfach so mitkommen kann? Aber im Train Manager Office sagen sie, es könnte Probleme mit dem Zugschaffner geben. Irgendwann reihe ich an die Kette der großen Dummheiten meines Lebens eine weitere, indem ich ihr vorschlage, es aufzugeben.
Nach unseren hektischen und hilflosen Bemühungen gehen wir mit einem Mal sehr ruhig geworden in die Bahnhofskantine und bestellen Tee. Da sitzen wir nun und die letzte gemeinsame Stunde bricht an. Ich hole eine Kette aus meiner Tasche, ein billiges hübsches Ding aus Holz, und hänge sie Amy um. Sie erlaubt mir gerade einmal, sie irgendwo – sehr weit vom Mund entfernt – auf die Wange zu küssen. Dazu muss ich mich ziemlich zu ihr hinüberbeugen. „Das ist ja nicht so viel gewesen”, schmolle ich und sie antwortet gespielt empört: „Hey, sei zufrieden, dass du überhaupt …”
Ein letztes Mal laufen wir zur alten Form auf.
Ich bringe sie zu einem Taxi. Es ist eine hoffnungslose Situation. Wir drücken einem Passanten ihre Kamera in die Hand und legen für das Bild die Arme umeinander. Ein Taxifahrer wartet bereits ungeduldig auf sie. Ich beruhige ihn immer wieder: „Nur noch eine Minute.” Sie steigt ein und tatsächlich rollt jetzt das Taxi mit ihr davon und fährt bereits dort drüben – und jetzt – jetzt ist sie wirklich unwiederbringlich weg. Müde schleiche ich zum Bahnsteig, der mit Menschen, Koffern und riesigen verschnürten Stoffpacken überfüllt ist. Mittendrin nistet der verlorene Vogel, es ist sehr heiß, und nicht einmal das übliche bunte Treiben auf indischen Bahnhöfen kann meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich bin in meiner eigenen Welt, in einer anderen, surrealen, wertvollen Daseinsform. Der einzigen, in der es möglich ist, ganz hier zu sein. Der inneren Bewegung zurückgegeben, die sich auf die Wahrnehmung des Äußeren auswirkt. Wie lange wird dieser Zustand ohne Amy anhalten?

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